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bekult-Gurten-Gipfel, 13. Juli 2022

Eröffnungsreferat von Bernhard Giger

Herzlich willkommen zum bekult-Gurten-Gipfel. Schön, seid Ihr gekommen, wo doch eigentlich Ferien sind, die in diesem Jahr vermutlich ganz besonders ausgekostet sein wollen. Im Moment weiss ja niemand, und es will’s auch niemand wirklich wissen, was im Herbst auf uns zukommt.  Aber wir, bekult, der Verband der Berner Kulturveranstalterinnen und -veranstalter, sind, wie unser grosser Nachbar, das Gurtenfestival, einfach nur glücklich, diesen Anlass nach zweijähriger Zwangspause wieder durchführen zu können.

Die letzten zwei Pandemie-Jahre haben unseren Alltag bestimmt. Wir mussten unsere Lebensgewohnheiten anpassen, mit völlig verschiedenen Erfahrungen und Konsequenzen. Aber in einem Ausnahmezustand, wie wir ihn uns vorher nicht vorstellen konnten, befanden wir uns alle. Er hat manches ausgeschlossen, was zuvor selbstverständlich war, Ausgehen am Wochenende, Kontakte mit der Familie. Auf der anderen Seite machte es auch ein Ausnahmezustand vielleicht erst möglich, dass sich für einen schönen Moment lang unvermittelt unerwartete Perspektiven öffneten.

Was neben der Normalität entsteht, wenn die Dinge nicht mehr so sind wie sie immer waren, und der Alltag ins Rutschen gerät – das ist eines jener weiten Felder, durch das sich die Kultur seit je mit Lust und Neugier bewegt. Unzählige ihrer Geschichten beginnen dort, unbeachtet oder verdrängt, jedenfalls nicht dort, wo wir alltäglich sagen würden. So gesehen, waren die Corona-Jahre eine kulturelle Hochphase. Der Stoff lag, wortwörtlich, auf der Strasse, am Küchenfenster, in der Kolonne beim Anstehen vor dem Bäcker.

Aber normal war das nicht. Und in ihren Arbeits- und Produktionsstrukturen hat es die Kultur besonders hart getroffen. Es herrschten nicht nur aussergewöhnliche, es herrschten vielerorts bedenklich schwierige Verhältnisse. Für nicht wenige Kulturschaffende stellte sich auf einmal ganz konkret die Frage: Wie im nächsten Monat die Miete bezahlen?

Die öffentliche Hand hat auf allen Ebenen schnell reagiert. Sie hat Mittel für direkte Hilfe und Unterstützung bereitgestellt, sie hat – in Stadt und Kanton Bern und der Region Bern-Mittelland – die weitere Auszahlung der fest gebundenen Ausgaben zum Beispiel über die Leistungsverträge unkompliziert garantiert. Damit half sie mit, Infrastrukturen und Arbeitsplätze zu sichern, die sonst vielleicht nicht mehr zu halten gewesen wären. Dafür gilt es Stadt, Kanton und Region zu danken – für das Bekenntnis zum Kulturschaffen und der Kulturvermittlung in gar nicht einfachen Zeiten. Das war vertrauensbildend. Hoffentlich hält es an.

Die Kultur – und damit komme ich endlich zu diesem Bild – hat sich aber auch reingelegt: Eine französische Musikgruppe, Tournée des Refuges, hat einen Auftritt in der Monte Rosa-Hütte, fast 3000 Meter über Meer. So haben sich die Musikerinnen und Musiker durch Schnee und Eis auf die lange Bergwanderung gemacht. Die Bilder von Anthony Anex gewannen den 2. Preis in der Kategorie Alltag von Swiss Press Photo 22. Die Jahresschau des nationalen Medienpreises ist ab Ende September einen Monat lang im Historischen Museum zu sehen.

Die Kultur, die bis ans Ende der Welt geht, oder, wie hier, auf ihre Spitze: In den letzten Jahren machte sie tatsächlich weite Wege. Die Kulturarbeit musste sich unter gänzlich anderen Bedingungen wie neu erfinden. Sie tat das auch, fand Nischen, die zu Hauptschauplätzen wurden – Lyrik unter der Eiche dort drüben an der Weggabelung, ein Konzert vorn an der Ecke im Quartier, oder Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern in Galerien, keine Apéro-Häppchen und kein Smalltalk, aber Gespräche, die bleiben. Alles nicht weltbewegend, aber bewegend eben schon in diesen speziellen Zeiten.

Die Wiederentdeckung der kleinen Form und der direkten, gewissermassen nachbarschaftlichen Vermittlung müsste sich auch in Nach-Corona-Zeiten fortsetzen. Es sollte in der Kultur, in der Herstellung ebenso wie in der Vermittlung, wieder mehr um die einfachen Dinge und Fragen gehen: Was machen wir? Wie machen wir es? Und für wen?

Was Kultur ist und was sie den Menschen bedeutet, wandelt sich gerade ziemlich rasant. Der Ballast, den wir in den alten Rucksäcken mittragen, die uns einst mit auf den Weg gegeben wurden, taugt wenig mehr, das heisst, direkter: ist nicht mehr so angesagt, wenn es um die neue Sinnfindung geht, was Kultur ist, muss und kann. Aus der unmittelbaren Gegenwart entsteht, was relevant ist, das ist momentan grad die Linie, was vorher war, ist zweitrangig.

Der Umbruch in der Kultur ist eine Herausforderung auch für Kulturförderung und Kulturstrategie der Stadt: Müssen die Gewichte neu gesetzt werden, was wollen wir vor dem Hintergrund eines breiten kulturellen Wandels mit welchem Anspruch längerfristig festigen? Braucht es jetzt Eingriffe, um künftigen Raum zu schaffen für andere Nutzerinnen und Nutzer?

Um das zu beantworten, braucht es keine Unesco-Leitlinien, es würde, in der Stadt Bern, vielleicht schon genügen, Aufgaben und Zielsetzungen von Häusern und Institutionen zu hinterfragen und allenfalls neu zu definieren, nicht um ihre Leistungen zu schmälern, sondern im Gegenteil um sie in ihrem Umfeld besser zu positionieren.

100’000 Franken weniger soll die Dampfzentrale ab 2024 bekommen, weil sie, verkürzt gesagt, zu wenig bietet für das Geld, das sie erhält. Zu überlegen, wo man mit dem Haus hinwolle und dann die entsprechende Finanzierung sicherstellen, fordert deshalb Melanie Mettler, Co-Präsidentin des Vereins Dampfzentrale, von der Stadt. Denn die Programmdichte, welche die Stadt einfordert, scheitert offenbar am baulichen Zustand des Hauses, für den es wiederum Sanierungen durch die Stadt bräuchte. Die Dampfzentrale ist nicht nur ein Industrie-Denkmal, sie ist vor allem ein Kulturdenkmal. Berns Jugend hat sie 1987 besetzt, 35 Jahre später erhitzen Strukturprobleme die Gemüter. Melanie Mettler hat schon recht, es geht um die eine Frage: Wollen wir das Haus wieder beben lassen wie einst, oder ist es eher der Verkümmerung geweiht – und damit längerfristig einer anderen Nutzung?

605’000 Franken weniger Kulturförderung gibt es ab 2024. Das sind 1,8 Prozent weniger als bisher. Stadtpräsident Alec von Graffenried weist im Vorwort der Kulturbotschaft darauf hin, dass die Kulturausgaben zwischen 2016-2020 um 10 Prozent gestiegen sind. 605’000 Franken, möchte man meinen, sind moderat in Zeiten angeschlagener Finanzen. Doch für die, die es trifft – 100’000 hier weg, 50’000 dort –, bedeutet es Verzicht, Abbau von Leistungen, auch Existenzängste. Auf dieser Stufe, wo es eben dann wirklich nur noch um die Kulturarbeit geht, wird aus der moderaten, von der Politik beschlossenen Kürzung plötzlich ein durchaus dramatischer Eingriff.

Die letzten zwei Jahre haben der Kultur zugesetzt. Jetzt bewegt sie sich in noch etwas ungesichertem Gelände, sie muss sich erst wieder einleben in ihr altes Metier. Man müsste ihr dafür Zeit lassen. Aber die bekommt sie nicht. Kulturszene und Kulturmarkt sind in Bewegung wie lange nicht mehr, die Produktionsbedingungen werden bestimmter, zum Teil schlicht enger. Das neue Fördermodell jedoch, das uns in der Kulturbotschaft angepriesen wird – einfachere Abläufe, Auflösung der Sparten, professionellere Strukturen, breitere thematische Abstützung in der zuständigen Kommission und höhere gesellschaftliche Relevanz in den Entscheiden, und, das gehört heute eigentlich selbstredend dazu, mehr Nachhaltigkeit –, diese auf den ersten Blick fast paradiesischen Zustände einer neuen Verständlichkeit und Transparenz sind, finde ich, eine Falle. Das Modell mag grundsätzlich richtigliegen, aber sonst ist es noch recht abstrakt und wenig Szenennah. Es könnte genauso viel kaputtgehen dabei wie neu geschaffen werden.

Aber eben, ich bin einer, der noch den schweren Rucksack herumträgt. Vielleicht sind wir wirklich unterwegs in die Zukunft, vielleicht werden wir nicht mehr Malerin oder Filmemacher sein, nicht mehr ein Stück proben oder eine Choreografie, sondern einfach Kultur machen, mit allem, was dann dazu gehört. Wir werden sehen, die Vernehmlassung zur Kulturbotschaft läuft.