Liebe Anwesende
«Das Kunsthighlight des Jahres», so lautet der erste Satz des Newsletters von Bern Welcome, der in der letzten Woche verschickt wurde. Gemeint ist die Gurlitt-Ausstellung im Kunstmuseum. Selbstverständlich ist die Eröffnung der Ausstellung ein grosses Berner Ereignis. Endlich wird auch die Öffentlichkeit Einblick nehmen können in die Sammlung, die so viel Wirbel verursacht, endlich werden auch wir uns ein Bild davonmachen können, wie viel das sensationelle Kunstgeschenk denn tatsächlich wiegt. Aber, mit Verlaub, ob die Ausstellung wirklich das Kunsthighlight des Jahres ist, wird sich erst weisen, wenn sie dann einmal eröffnet und zu besichtigen ist.
Logisch, jeder vernünftige Kommunikationsmensch würde so formulieren: «Highlight des Jahres». Stimmung machen, wenn man dann schon einmal auch international im Rampenlicht steht. Entscheidend für die Debatte über Kultur und Tourismus, die seit einiger Zeit in Bern und heute Nachmittag hier an der Kulturkonferenz geführt wird, ist jedoch die Denkweise hinter der Schlagzeile. Wie wird Kultur touristisch vermarktet, und welche Kultur soll vermarktet werden? Und nicht zuletzt: Wem dient das mehr, dem Standortmarketing der Stadt im allgemeinen oder dem Kulturschaffen im speziellen? Zu diesen Fragen werden sich nachher Fachleute äussern – Marta Kwiatkowski und Martin Bachofner. Sie werden einen differenzierteren Blick auf den Themenbereich einbringen als es meiner ist. Meine Position – unsere, die von bekult und den Initianten der Kulturkonferenz – ist die Kulturecke. Ich brauche das kaum speziell zu erwähnen, es ist bekannt: Da hat man, gewohnheitsmässig, einen anderen, immer etwas misstrauischen Blick auf die Dinge. Und insbesondere hier, bei der Frage, wie weit das einheimische Kulturschaffen auch touristischer Werbeträger sein kann und sein will, einer Frage, die sich auf dem schmalen, oft heimtückischen Grat zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Wirtschaft und Kultur bewegt, ist die Skepsis vielleicht noch etwas grösser als gewöhnlich.
Es gibt Leute in der hiesigen Kulturszene, die sagen, Kultur und Tourismus, das funktioniert als Werbekonzept nicht für Bern, weil wir die Angebote nicht haben, die sich entsprechend vermarkten lassen. Und die Angebote, die wir haben, nicht kompatibel sind mit den Marketingvorstellungen der Tourismusindustrie. Das sind nicht schlechte Einwände. Denn genau darum geht es: Lässt sich eine Szene, die sich durch Vielfalt auszeichnet und oft die eher kleine Form pflegt, überhaupt touristisch verkaufen?
«Kunsthighlight des Jahres» – Verkaufsargumente wie diese, das ist Schema Eventkultur. Das ist soweit ok. Aber in Bern haben wir auf diesem Level wirklich nicht viel zu bieten. Einen richtig grossen Kulturevent haben wir, er findet auf dem Gurten und damit auf dem Gemeindegebiet von Köniz statt. Doch das reicht kaum, um sich nachhaltig in Erinnerung zu rufen. Das heisst, die Events – andere reden gern von Leuchttürmen – müssen erst geschaffen werden. Drei Beispiele:
- Man könnte das Kurzfilmfestival Shnit aufrüsten – aber warum eigentlich, es gibt in Winterthur die sehr renommierten Internationalen Kurzfilmtage und in Solothurn, eine knappe Zugsstunde entfernt, jedes Jahr die Filmtage.
- Man könnte auawirleben grossmachen, ein paar Millionen investieren. Das würde bedeuten, die öffentlichen Kulturausgaben zu erhöhen oder die bestehenden Mittel neu zu verteilen. Wenn das aufgrund künstlerischer Perspektiven geschieht und aus der bisherigen Geschichte und Entwicklung des Festivals heraus, wäre das vielleicht einen Versuch wert. Ob man es jedoch vorwiegend aus Gründen der touristischen Standortstärkung tun sollte, ist zumindest fraglich.
- Oder man könnte – ganz unbescheiden in eigener Sache – Bern auf der Basis der Ausstellungen im Kornhausforum zu einem Fotografie-Ort machen. Es gibt hier eine starke Fototradition, Paul Senn, Kurt Blum, Balthasar Burkhard, Reto Camenisch. Bern liesse sich also durchaus zur Fotostadt erklären, wenn es denn um die Etikettierung ginge. Aber die Fotowelt pilgert nun einmal seit Jahren im Sommer nach Arles in die Provence, wie Bern übrigens Unesco-Weltkulturerbe. Und neben Arles gibt es allein in Europa jährlich bereits rund 40 Fotofestivals.
Mit einem Wort: Man müsste sehr viel investieren, finanziell, organisatorisch und künstlerisch. Doch die Gewissheit, damit auch punkten zu können, wäre in keiner Weise gegeben. Denn – auch dies gilt es zu bedenken: Niemand wartet darauf, dass Bern sich kulturell herausputzt, und man muss schon ziemlich gut – das heisst möglichst aufwändig und exklusiv – sein, um im harten Wettbewerb des internationalen Kulturmarketings überhaupt nur wahrgenommen zu werden.
Events schaffen, grosse Kisten bauen, Highlights zünden wie das Feuerwerk am 1. August, das kann es nicht sein, wenn Bern sich ein Kulturlabel umhängen will. Ein Grossteil des Kulturschaffens wäre so von vornherein ausgeschlossen und dementsprechend wohl wenig interessiert an wie auch immer gelagerten Kooperationen – zum Beispiel mit Bern Welcome. Es braucht ein Berner Modell für die touristische Vermarktung der Kultur. Dieses Modell zu entwickeln wird nicht einfach bei der tendenziell kleinteiligen Struktur der Szene. Die Vidmar-Hallen, dieses Haus: der Progr, das Kino Rex oder kleine Oasen wie die Galerie Brunner am Nydeggstalden oder das ONO an der Kramgasse sind wunderbare Orte. Aber es gibt sie anderswo auch, mit anderen Namen, aber gleichen oder ähnlichen Inhalten. Das ist unser Alltag, nicht die Schlagzeile «Kunsthighlight des Jahres». Doch aus diesem Alltag heraus muss wachsen, was Bern besonders machen soll, für das eigene Publikum in Stadt und Region und für die Besucherinnen und Besucher von auswärts.
Vielleicht müsste man einfach einmal anfangen, ganz im Kleinen und vor der eigenen Haustür. Wo bleibt der gemeinsame digitale Auftritt der Berner Kultur für Besucherinnen und Besucher, die sich schnell und praktisch informieren wollen und vielleicht auch gleich noch gern wüssten, wo man gut essen kann in der Stadt? Warum hat es ausgerechnet in der Innenstadt, wo die meisten Menschen durchgehen, wo die Touristen verkehren, keine Kultursäulen, weshalb dürfen die nur draussen in den Quartieren stehen? Vermutlich weil irgendeine ästhetische Kommission irgendeinmal einsam entschieden hat, dass die Säulen in der Innenstadt unpassend wären. Dafür werden jetzt immer häufiger die klobigen Eisenständer des Tiefbauamts aufgestellt. Ein etwas schäbiger Auftritt vor der Kulisse des Weltkulturerbes, aber die Ständer lassen sich jederzeit wieder wegräumen, darum haben die Ästheten damit kein Problem.
Oder: Warum verkauft Bern Tourismus das kulturelle Angebot nicht als Gesamterlebnis? Es gibt neben der Route Bärengraben-Zytglogge – der touristischen Mainstreet – noch ganz andere Wege durch die Stadt. Am Helvetiaplatz und im Kirchenfeld gibt es das Museumsquartier, Kunsthalle, Alpines Museum, Historisches und Naturhistorisches Museum, das Schützenmuseum und das Museum für Kommunikation – da hat es, jede Wette, nun wirklich für jeden und jede etwas, was sie fesselt und fasziniert. Bloss wissen müssten sie’s, die Bernbesucher. Dann etwa, wenn sie auf der Kirchenfeldbrücke bis zur Mitte gehen, um vor Altstadt und Münster ein Selfie zu machen, und danach wieder umkehren.
In der Innenstadt gibt es – das heisst, würde es geben, spräche man davon – die Kulturmeile. Sie reicht von der Reitschule zu Kunstmuseum, Progr, Konzert Theater Bern, Kornhausforum und Altem Schlachthaus. Auch hier, wie im Museumsquartier: Eine bunte Palette kultureller Angebote. Und dann gibt es in Bern Architektur, die auch Interessierte von auswärts begeistern könnte: Was verdichtetes Bauen angeht, ist die Altstadt ein historisches Paradebeispiel dafür. An verschiedenen Orten in der Stadt stehen herausragende Objekte des Neuen Bauens der Dreissigerjahre. Etwas ausserhalb liegt die Halensiedlung des Atelier 5, im Westen steht das Tscharnergut, eine Pioniersiedlung für den modernen Wohnungsbau aus den Fünfzigerjahren und schliesslich haben auch aktuelle Stararchitekten im Zentrum Paul Klee und im Westside markante Zeichen gesetzt.
Klar, ein Internetauftritt, ein paar Werbesäulen und Markierungen oder eine Architekturrundfahrt ergeben noch kein Verkaufskonzept. Aber die inneren Zusammenhänge kultureller städtischer Orte, ihre vielfältige Vernetzung eben, gegen aussen transparenter zu machen, wäre ein Anfang. Denn wer sich verkaufen will, muss zuerst und vor allem erreichbar, auffindbar sein. Also machen wir uns erreichbar und klären dann ab, wie wir zusammen was erreichen wollen.
Bernhard Giger