Liebe bekult-Mitglieder
Das macht Freude: Der Appell von bekult an die Berner Politikerinnen und Politiker, die freien Projektbeiträge im Budget 2021 nicht zu kürzen, wurde gehört. Der Stadtrat hat am Donnerstagabend einem Kompromissantrag der SP zugestimmt, der vorsieht, von den ursprünglich 364’800 Franken, welche der Gemeinderat in der Kulturförderung streichen wollte, immerhin 284’800 im Budget zu belassen.
Weggefallen sind zwei Kredite, der eine über 70’000 Franken für Promotion und Distribution, der andere, 10’000 Franken, für kulturelle Infrastrukturen der Altstadt. Im Budget 2021 verblieben sind: Bildende Kunst 17’000; Literatur 15’000; Musik 34’500; Theaterschaffen 50’000; Film 3’000; Schwerpunktkredit 50’000; Spartenübergreifende Projekte 50’000; Pauschale Programmförderung 23’000; Laienorchester 22’300; Kulturaustausch 10’000; Stadtentwicklung durch Kultur 10’000.
bekult bedankt sich ganz herzlich für diese Unterstützung. Sie ist ein Vertrauensbeweis der Berner Politik nicht bloss für die freie Szene, sondern überhaupt das Berner Kulturschaffen. Das tut gut in diesen sonst so schwierigen Zeiten.
Vor der Sporthalle Wankdorf, dem Corona-Aussenquartier des Stadtrats, wurden die Politikerinnen und Politiker am Donnerstagnachmittag von einem bunten Empfangskomitee aus der freien Szene begrüsst. Weitere Farbtupfer setzten im ersten Teil der Sitzung städtische Angestellte, die sich in gelben und orangen Westen auf die Tribüne setzten. Doch je länger die Sitzung dauerte, erschien einem dieses über viele Tische verteilte Stadtparlament in der riesigen Halle seltsam verloren. Und eine fast schon surreal anmutende Note bekam die Szenerie, als SVP-Stadtrat Hans-Ulrich Gränicher der Kultur unterstellte, sie spiele vor nur mässig besetzten Rängen. Er sagte dies ausgerechnet vor der Kulisse einer in der Abendsitzung gähnend leeren Zuschauertribüne. Wer macht da nun weniger Eintritte, Herr Gränicher, ihre Politik oder unsere Kultur? Belegen konnte der SVP-Mann seine Behauptungen im Übrigen nicht; er weiss es nur vom Hörensagen.
Doch das grobe Geschütz von rechts aussen war die Ausnahme. Sonst gab es quer durchs politische Spektrum viel Sympathiebekundungen für das Kulturschaffen. Die freie Szene habe bereits genug gelitten, sagte SP- Stadträtin Katharina Altas, und sie habe es weiterhin nicht einfach. Eingängig formulierte es Brigitte Hilty Haller von der GFL: «Am Schluss ist es einfach: Kultur hat man oder nicht.» Seraina Patzen von der Fraktion GB/JA zeigte auf, wie durch die vom Gemeinderat vorgeschlagenen Kürzungen wieder rückgängig gemacht würde, was mit der Kulturstrategie 2017-2028 für die weitere Entwicklung der Kulturstadt Bern aufgegleist wurde.
Der Stadtpräsident kam in seiner ausführlichen Antwort auf die Anträge zur Präsidialdirektion – 16 Minuten dauerte sie, 5 waren auf dem Zeitplan eigentlich vorgesehen – erst ganz am Schluss zur Kultur. Er unterstrich die Bedeutung des Wirtschaftsamts und machte sich stark für das Personal im Erlacherhof, er bedauerte den drohenden Wegfall eines Kredits für Repräsentation – die Sportlerehrung etwa oder zweimal jährlich der Neuzuzügeranlass –, und die Kürzung eines Beitrags an ein Expo-Projekt.
Alle Schweizer Städte würden mitmachen, mahnte Alec von Graffenried. Eine halbe Stunde später war klar: Bern macht nicht mit.
Dass ihm die Kürzungen im Kulturbereich nicht leicht von der Hand gingen, dass ihm unangenehm ist, was er hier vertreten musste, das war Alec von Graffenried anzumerken. Die Kultur, sagte er, liegt ihm am Herzen, und es tut ihm weh, kürzen zu müssen. Doch dann wurde es schwieriger: Wegen der Corona-Krise gebe es weniger Projektgesuche. Das leuchtet ein, jetzt Projekte zu starten, ist riskant. Aber die Szene gibt es ja trotzdem, und der geht es wirtschaftlich mies. Doch die Projektförderung, so von Graffenried, sei nicht Krisenhilfe, die werde im Kulturschaffen durch den Erwerbsersatz von Bund und Kanton geleistet. Etwas vereinfacht gesagt, erklärte der Stadtpräsident dem Parlament damit: das Geld, das ihr nicht einsparen wollt, wird gar nicht gebraucht.
Bereits im laufenden Jahr wurden bei der Projektförderung rund 200’000 Franken gestrichen. Die nun geretteten Kredite sind für 2021. Wäre es da nicht an der Stadt selber, jetzt erst recht die Kulturszene zu ermuntern, an neue Projekte heranzugehen – wie bei allen Unternehmen der Kultur selbstverständlich im Rahmen der gegenwärtigen Möglichkeiten? Müssten nicht die Mittel, die bereitstehen, jetzt offensiv angeboten werden? Als direkte Massnahme zur Wiederankurbelung des Kulturbetriebs. Nicht Krisenhilfe, aktive Unterstützung beim Neubeginn.
Auch nicht ganz so einfach, wie es sich anhörte, war eine weitere Aussage von Graffenrieds. Die Stadt fördere Institutionen mit Leistungsaufträgen nicht auf Kosten der freien Szene, sie – Schlachthaus oder Dampfzentrale – würden freien Gruppen auch Bühnen bieten. Das ist richtig, aber zuvor müssen diese Produktionen auch realisiert werden, und dafür braucht es Unterstützung bei der Projektentwicklung. Eben die freien Kredite.
Der Jungfreisinnige Tom Berger, der Kulturfachmann der FDP-Fraktion, hat einen Minderheitsantrag der vorberatenden Kommission für Soziales, Bildung und Kultur eingebracht. Auch er plädierte dafür, die Kürzung der Kulturkredite rückgängig machen, forderte aber als Kompensation dafür Verhandlungen mit den Institutionen «über eine Teilrückerstattung der wegen Corona und Kurzarbeitsentschädigung nicht beanspruchten Kredite.» Der Antrag wurde abgelehnt.
In seiner Begründung des Antrags stellte Berger die richtigen Fragen zum falschen Zeitpunkt. Er will eine Grundsatzdebatte führen über die Frage, ob es in Bern nicht zu viel Kultur gibt, ein Überangebot, bezogen auf die Grösse der Stadt. Dafür sei jetzt der richtige Zeitpunkt. Corona habe eine neue Realität geschaffen, zum Beispiel bezüglich der Durchführung von Grossanlässen. Sie kommt immer wieder, die Frage, aber sie geht von einem Missverständnis aus: Es ist nicht ein Überangebot, es ist kulturelle Vielfalt. Doch ob diese Vielfalt möglich ist, das ist tatsächlich auch eine politische Frage. Mit seinen Entscheiden am Donnerstag hat der Stadtrat deutlich gemacht, dass er die Vielfalt will. Wenigstens vorerst mal im nächsten Jahr wieder.
Aber, Tom Berger hat recht, um eine Grundsatzdebatte über die Zukunft der Kulturförderung wird Bern nicht herumkommen. Es wird, ganz simpel, enger, die Mittel fliessen harziger, trotz dem Entscheid am Donnerstag.
Nicht nur der Stadtrat hat entschieden, auch der Nationalrat. Die Bundesmillion ist weg. Sie wird im Budget der Stadt nicht ersetzt. eine Million weniger Kulturgeld. Das bleibt nicht folgenlos, das bedeutet ganz konkret Abbau: Eine 70-Prozent-Stelle abbauen oder Ausstellungsprojekte herunterfahren, davon sprach Thomas Pauli-Gabi, der Direktor des Historischen Museums, im «Bund», Kunsthalle-Direktorin Valerie Knoll von zwei Büchern oder einer Ausstellung weniger.
In seinem Vorstoss im August hat bekult angeregt, hinsichtlich der neuen städtischen Finanzstrategie 2022 den Verteilschlüssel zwischen freien und gebundenen Kulturförderungsbeiträgen zu prüfen und neu zu definieren. Die Stadt scheint auf eine Initiative wie diese nur gewartet zu haben. Am 21. August wandte sich Stadtpräsident Alec von Graffenried – sich dabei auch auf bekult beziehend – in einem Brief mit der Bitte an die Institutionen mit Leistungsvertrag, «gemeinsam mit uns über mögliche Beiträge an die Sparmassnahmen zu diskutieren.»
War dieser Brief noch durchaus moderat abgefasst, ging es in einer Mail von «Kultur Stadt Bern» Anfang September schon bedeutend entschiedener zur Sache: Jede Dienstelle der Stadt müsse für die Jahre 2022/23 darlegen, wie sie 10 Prozent ihres Beitragsbudgets und 20 Prozent ihres Betriebsbudgets einsparen könne. Die Partnerinnen und Partner würden deshalb zu einem Gespräch eingeladen, bei dem es um ihren Sparbeitrag und um den Verzicht von Leistungen gehen würde. Als ob das allein nicht schon genug schlechte Nachrichten wären, kam dann noch der eigentliche Hammer: «Da es sich nicht um einmalige Kürzungen handelt, ist davon auszugehen, dass die Beitragssumme ab 2024 insgesamt tiefer sein wird als in dieser Vertragsperiode.» Was bisher nur eine böse Befürchtung war, jetzt ist es draussen. Der Verteilkampf wird härter werden.
Das von der Stadt vorgelegt Tempo irritiert etwas, selbst wenn Wahljahr ist. Für die Kultur wäre es jetzt gut gewesen, sie einfach einmal sich wiederfinden zu lassen, in einem möglichst ruhigen und unaufgeregten Umfeld, soweit das in Zeiten strenger Schutzmassnahmen überhaupt möglich ist. Bis nächsten Frühling hätte man sich gut politisch noch ein wenig zurückhalten können, um abzuwarten, wie sich der Kulturbetrieb über den Winter entwickelt. Im nächsten Frühling können in der Kultur, wie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, viele Dinge anders sein als sie es jetzt noch sind.
Stattdessen macht die Stadt, lange bevor die ersten Schlussrechnungen dieses schweren Jahres vorliegen, Druck auf die Institutionen. Es ist für sie nicht anders als für jede freie Gruppe oder jede unabhängige Kleinbühne: Im Moment geht es nur darum, wie durchkommen in den nächsten Monaten mit weniger Einnahmen, weniger Besucherinnen und Besuchern und wenig verheissungsvollen Perspektiven. Darüber nachzudenken, was man allenfalls über die laufenden Einbussen hinaus noch einsparen könnte, das ist ein bisschen viel verlangt. Die Institutionen werden sich wehren und überzeugend erklären können, warum gerade jetzt noch engere Budgets problematisch sind, sie werden vielleicht auch ihre Rechtsvertreter einschalten, um abzuklären, ob und in welchem Mass mit den angekündigten Sparmassnahmen allenfalls laufende und immerhin vom Volk abgenommene Verträge gebrochen werden könnten.
bekult ging es darum, eine Diskussion anzuregen über das künftige Gleichgewicht zwischen freien Beiträgen und den festen Subventionen. Wir dachten dabei nicht zuvorderst an eine Gelddebatte, sondern eine über die Verteilung der Aufgaben. Aber jetzt sieht es so aus, als ob die eine Seite der andern von vornherein zu verstehen gäbe, dass sie eigentlich nur verlieren kann. Schwierig, so gegenseitiges Verständnis zu schaffen in Zeiten, in denen man wirklich ein wenig um die Zukunft jener öffentlichen Förderung bangen muss, auf der bisher der Kulturbetrieb gebaut war.
Hoffen wir, dass sich die Fronten nicht unnötig verhärten. Der Vielfalt der Berner Kultur wäre das zweifellos abträglich.
Bis am Mittwoch um 18.00 in der Kunsthalle Liebe Grüsse
Bernhard Giger