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NEWSLETTER 9 – 19. MÄRZ 2020

Liebe bekult-Mitglieder

Plötzlich gehörst du zu einer Risikogruppe, plötzlich sollst du möglichst viel daheimbleiben, plötzlich ist es todernst. Wie weit weg war doch Wuhan. Die Schweizer Sprachstudentin – gewissermassen unsere Stimme in der gesperrten chinesischen Stadt –, die uns in der Tagesschau berichtete, wie sich auf dem Campus um sie herum alles entleert und sie nun einfach in ihrer Wohnung verharren muss und heim möchte, hatte unser Mitgefühl. Dass das bald auch unser Alltag werden sollte: unvorstellbar.

Jetzt ist es still in der eigenen Stadt. Nicht Sonntagsruhe, stiller, abends fast gespenstisch still. Geöffnet nur noch, was lebensnotwenig ist, die Bäckerei, der Käseladen und die Weinhandlung, aber keine Buchhandlung.

Die Kultur, Kulturschaffende und Kulturveranstalter, ist davon betroffen wie alle gesellschaftlichen Bereiche. Es gibt keinen Unterschied zwischen Coiffeursalon und Kleinbühne, zwischen KTB und YB, alle haben jetzt ihre jeweils eigenen Probleme, aber bei allen geht es um dasselbe: ums Überleben. Es war darum sehr unnötig, als Sportredaktor Fabian Ruch noch vor zehn Tagen in Bund/BZ im Zusammenhang mit allfälligen Subventionen der öffentlichen Hand zugunsten geschädigter Vereine schrieb, es sei «gerade in der Stadt Bern seit Jahrzehnten ein Thema, dass gewisse Kulturbetriebe massiv subventioniert werden, der Sport aber eine geringe Lobby geniesst.» Genau so lassen sich Krisen niemals meistern.

Es passiert einiges, damit nicht alles zusammenbricht im Kulturbetrieb und die Zwangspause nicht nachhaltig Löcher aufreisst im vielfältigen Angebot der Kulturstadt Bern. Es steht sehr viel auf dem Spiel Die Berner Kultur lebt von ihrer Vielfalt und ihren oft kleinteiligen, mit geringsten Mitteln finanzierten Strukturen, die sich über lange Jahre in diffizilen Prozessen gebildet haben. Das ist nun akut bedroht – es kommt bei Veranstaltern und in freien Gruppen zu Einbussen, die für die Betroffenen katastrophal sind und für nicht wenige existenzielle Konsequenzen nach sich ziehen.

Gestern, am 18. März 2020, hat Kultur Stadt Bern in einer Mitteilung erste Massnahmen bekanntgegeben. Bezüglich Projektbeiträgen empfiehlt die Kulturabteilung, wenn immer möglich Veranstaltungen zu verschieben – dies gilt allerdings ebenso für nicht geförderte kulturelle Veranstaltungen, auch für solche der Institutionen, vielleicht lassen sich auf diese Weise gewisse Verluste etwas auffangen.

Bei den mit Projektbeiträgen unterstützten Anlässen ist es auch möglich, für Mehrkosten, die sich durch eine Verschiebung ergeben, bei der Stadt Gesuche um Nachfinanzierungen einzugeben. Diese werden dann von den zuständigen Fachkommissionen geprüft. Dort, wo Verschiebungen nicht möglich sind und die Veranstaltungen abgesagt werden müssen, werden gemäss Kultur Stadt Bern schon bezahlte Beträge grundsätzlich nicht zurückgefordert, und solche, die noch ausstehen, grundsätzlich ausbezahlt.

Weiter kündet Kultur Stadt Bern in der gestern veröffentlichten Mitteilung an, dass Veranstalter und Institutionen mit Leistungsverträgen oder Pauschaler Programmförderung individuell informiert werden. Das hört sich an, als ob das offizielle Wording noch nicht gefunden wäre. Neben den rein städtischen Leistungsverträgen gibt es die Verträge, die von Stadt, Region und Kanton gemeinsam getragen werden. Sie müssen sich auf eine gemeinsame Position einigen. bekult erwartet, wie bei den Massnahmen der Stadt zu den Projektbeiträgen, eine pragmatische Lösung. Wie freie Projekte nicht umgesetzt werden können, weil es eine Notsituation so erfordert, können auch Leistungsverträge nicht eingehalten werden: Das Kornhausforum hat am letzten Donnerstag auf der Galerie eine Fotografie- Ausstellung eröffnet, die sich wohl niemand wird anschauen können. Doch auch wenn nichts mehr läuft, bleiben die laufenden Kosten fast unverändert die gleichen. Kultur Stadt Bern verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Informationen der kantonalen Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion zu Einnahmeausfällen und Kurzarbeit auf ihrer Website.

Und sonst? Die «Berner Kulturagenda», die gegenwärtig mit stark reduziertem Umfang erscheint, weist auf eine virtuelle Spendenaktion des Oltner Event- und Ticketing-Unternehmens Eventfrog hin (eventfrog.ch). Kolumnistin Madeleine Corbat fordert, Solidarität direkt und unkompliziert zu bezeugen, indem man darauf verzichtet, das Geld für bereits bezahlte Tickets beim Veranstalter wieder einzufordern. Guter Vorschlag.

Sehr aktiv ist auch die Bar- und Clubkommission Bern, die BuCK Pro Nachtleben Bern. Am letzten Freitag hat sie sich im Dachstock der Reitschule zur Krisensitzung getroffen, in einem Newsletter fordert sie ihre Mitglieder auf, sich an die vom Bundesrat verordneten Massnahmen zu halten: «Zusammen überstehen wir die Krise, zusammen werden wir auch wieder tanzen – You take care / We take care / Let’s take care!» Zudem hat die BuCK unter ihren Mitgliedern eine Umfrage zur Liquidität lanciert, um damit «den Behörden die Dringlichkeit aufzuzeigen» (für Fragen und weitere Informationen: Max Reichen, Präsident BuCK, max@buck-bern.ch).

Die Welt steht still. Das Leben geht weiter. In aussergewöhnlichen Situationen, Krisen oder Konflikten, ist der Kultur stets eine besondere Rolle zugekommen. Sie kann vielleicht letzte Fenster öffnen, Zeichen der Verständigung setzen, Hoffnung machen. Was ist es denn, was vom Ausnahmezustand in Italien bleibt, über die Bilder der leeren Strassen und Plätze hinaus, die wir unterdessen selber kennen: die Gesänge der Menschen auf den Balkonen in den Städten. Ein schönes poetisches Signal gegen die Resignation.

Es wird eine Zeit danach geben. Wir werden, wie die BuCK schreibt, wieder tanzen. Drum, bei aller Ratlosigkeit, Ungewissheit und auch Angst: Nutzen wir die verordnete Ruhe, um uns auch auf das vorzubereiten, was uns erwartet, wenn die Kultur in den Alltag der Bevölkerung zurückkehrt. Es heisst nun allerorts, die Welt werde nicht mehr die gleiche sein, wenn das einmal überstanden sei. Das trifft auch auf die Kultur zu.

Ich wünsche allen eine gute Gesundheit und viel Zuversicht, auch wenn man grad nicht so recht weiss, woher man sie nehmen soll.

Liebe Grüsse Bernhard Giger