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NEWSLETTER – JANUAR 2023

Liebe bekult-Mitglieder

Rundum das Beste wünsche ich euch allen für das Jahr 2023. Für die Kulturstadt Bern wird es ein Schlüsseljahr, vielleicht ein Wendejahr. Nicht nur, dass wie alle vier Jahre politisch und damit weitgehend auch finanziell die Grundlagen für die Kulturförderung 2024-2027 festgelegt werden. Auch ein neues Modell der Kulturförderung wird vorbereitet, von dem noch gänzlich ungewiss ist, wie es sich auf den Kulturbetrieb und das Kulturschaffen auswirken wird.

Zusammengefasst: Im letzten Sommer schickte der Gemeinderat die Kulturbotschaft 2024-2027 in die Vernehmlassung. Es geht um immerhin 33 Millionen Franken jährlich, eine stolze Summe bei dem gegenwärtig arg schiefliegenden Finanzhaushalt, der sie tragen soll. Die Botschaft betrifft zum einen die Leistungsverträge mit 25 Kulturinstitutionen, 14 rein städtische und elf gemeinsam mit dem Kanton und der Regionalkonferenz getragene. Es ist wie immer: die einen sollen ein bisschen weniger bekommen als bisher, andere etwas mehr. Selbstverständlich sind die Entscheide begründet, aber es sieht halt trotzdem wie Lotterie aus. Und der Stadtrat hat ja noch die Möglichkeit zur Korrektur, er kann Entscheide zurücknehmen oder abändern. Wie das geschieht, hängt auch davon ab, wie gut die Institution vernetzt ist. Das Haus der Religionen ist gut vernetzt: Die zunächst vorgesehene Reduktion des Betriebsbeitrags wurde bereits rückgängig gemacht. Andere hingegen, die Dampfzentrale, die Walser- Stiftung, das Einstein-Haus und der Verein Cinéville, der das Rex betreibt, sind auf Lobbyarbeit angewiesen. Es sind dies alles gute Adressen, von denen die Kulturstadt Bern seit Jahren profitiert.

Die Kulturbotschaft legt auch die grossen Linien fest: «Von der Stadt Bern geförderte Kultur soll sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig sein», schreibt der Gemeinderat. Auch wenn er damit querbeet offene Türen einrennt, ist es richtig, es programmatisch festzuschreiben. Nicht zuletzt, weil sich daraus für die Förderung Konsequenzen ergeben, die sich im Kulturbetrieb bald niederschlagen werden: So sollen ausschliesslich nur noch Projekte gefördert werden, die branchenübliche Honorare und Sozialversicherungsbeiträge budgetieren. Das bedeutet: höhere Budgets und bei gleichbleienden Mitteln weniger geförderte Projekte. Bei der Umsetzung dieser Massnahmen müssten vielleicht eine Art Nischen gefunden oder geschaffen werden für jene Kulturarbeit, die nur Teilzeit entsteht, warum auch immer, oft in der Balance zwischen Familie, Beruf und kultureller Tätigkeit, deren Produktionen in der eher kleinteiligen Berner Kultur aber immer wieder schöne Geschichten schreiben.

Schliesslich regelt die Kulturbotschaft auch die freien Kredite, gegen deren schleichende Kürzungen sich die Kulturszene immer wieder gewehrt hat. Die Aufregung um das drohende Ende der Stadtgalerie ist allen noch präsent. Diesmal jedoch legt der Gemeinderat – genauer: Kultur Stadt Bern und insbesondere deren Leiterin Franziska Burkhardt – gleich ein neues Modell der Produktionsförderung vor.

Vereinfacht: Abschaffung der Fachkommissionen, stattdessen ein Expert*innen-Pool mit, wie die Stadt schreibt, «zusätzlicher Expertise aus vielen Bereichen, die bisher nicht abgedeckt worden sind» – also in der Regel nicht spartenvertrauten Personen. Die Produktionsförderung setzt vermehrt spartenübergreifend auf gesellschaftliche Relevanz. Ob da die Projekte in Zukunft nicht zu sehr in die Breite geredet werden? Kultur, dies gehört zu ihrer unbedingten Freiheit, muss nicht vom ersten Strich an politisch sein, die politische Relevanz kommt vielleicht erst später, wenn sich das fertige Werk seine Öffentlichkeit sucht.

Es blieb in der Szene seltsam ruhig um diese doch sehr ungewöhnliche, alles Bisherige radikal umkrempelnde Idee einer anderen Kulturförderung. Einzig aus der freien Kunstszene kam heftiger Widerspruch. Und ich habe mich als bekult-Präsident ein paarmal kritisch geäussert – so in der Art: das Fachwissen geht in Pension –, blieb aber doch eher einsamer Rufer in der Wüste. Auch im bekult-Vorstand stand ich recht allein, bei allen Zweifeln am noch wenig Ausformulierten, Konkreten, wurde das Modell als Möglichkeit wahrgenommen, den veränderten Formen der Kulturproduktion und der Kulturvermittlung die richtigen Gefässe zu schaffen. Mal abwarten, scheint die Devise zu sein. Es lässt sich ja auch noch kaum etwas darunter vorstellen, etwas sozusagen Handfestes, ausser ein paar ersten Erfahrungen an anderen Orten.

67 Einzelpersonen, Institutionen, Vereinigungen und Parteien haben an der Vernehmlassung teilgenommen, auch bekult; unsere Stellungnahme haben wir im 22. August 2022 an die bekult-Mitglieder verschickt. Die Kulturbotschaft kommt weitgehend gut an, gerade auch die Neuerungen, das Setzen der Querschnittthemen und Schwerpunkte und die Zusammenlegung der Spartenkredite und der Fachkommissionen zu einem Expert*innen-Pool finden breite Zustimmung. Allerdings bestehen auch hohe Erwartungen, und die Unsicherheit in den Vernehmlassungsantworten gegenüber den vorgesehenen Neuerungen verlangt nach baldigen Antworten auf Fragen der Zusammensetzung und der Arbeitsweise des Pools. Immerhin wird seine Tätigkeit prägend sein für einen grossen Teil der Berner Kultur der nächsten Jahre. Es braucht nicht nur kluge Köpfe in diesem Pool, es braucht wirklich solche, die – in jeder Beziehung, auch in ihren eigenen Angelegenheiten – über Gartenzäune hinweg denken wollen und denken können.

Eine Sache bleibt, politisch gewichtig und eigentlich auch problematisch. Doch auch sie blieb liegen, wurde als Thema kaum aufgenommen, erst kürzlich in einem umfassenden Artikel in der «Berner Zeitung». Es geht um den Art. 15a der städtischen Leistungsverträge; «Kürzung und Abgeltung bei schwieriger Finanzlage». Eine solche tritt ein, wenn das Defizit drei Jahre hintereinander über 15 Millionen Franken liegt. In dieser Situation kann der Gemeinderat «mindestens sechs Monate im Voraus» eine Kürzung des vertraglich vereinbarten Betrags für das kommende Jahr um 10 Prozent ankündigen. Davon betroffen sind nicht nur Kulturinstitutionen, sondern alle Leistungserbringer mit mehrjährigen Verträgen, zum Beispiel Bern Welcome, aber auch DOK, der Dachverband für offene Arbeit mit Kindern, und der Trägerverein für die offene Jugendarbeit. Sie beide sind Institutionen der Jugend- und Sozialarbeit, die ganz einfach unentbehrlich sind. Die Einsparungen wären eher bescheiden, 788’805 Franken von 14 Institutionen, hat die BZ ausgerechnet. Der Stadtrat hat das Ansinnen des Gemeinderats schon einmal zurückgewiesen, nun steht es offenbar wieder zur Diskussion.

Die Stadt wird das juristisch abgeklärt haben, doch Demokratie-politisch bleibt es problematisch. Die Leistungsverträge gibt es, um Planungssicherheit zu schaffen, jene Professionalität der Kulturarbeit, welche die Stadt gerade mit dem neuen Förder- Modell stärken will. Mit Art. 15a geht nun ein Stück Verlässlichkeit verloren, und die Institutionen werden wohl anders planen und budgetieren müssen. Wer setzt schon gern einen Posten ins Budget, von dem er nicht weiss, ob er ihn verwenden kann?

Stadtpräsident Alec von Graffenried hat im «Bund»-Interview Entwarnung gegeben:

«Aktuell beurteile ich die Situation so, dass die Voraussetzungen für diese Sparklausel kaum eintreten werden», sagte er im Gespräch mit Regula Fuchs und Michael Feller. Vielleicht etwas bösartig gefragt: Warum soll sie denn überhaupt eingeführt werden, diese Sparklausel, und so Verunsicherung stiften, wo sie nicht nötig wäre?

Als bekult-Präsident habe ich mich öffentlich kritisch über die geplante Sparmassnahme geäussert. Auf der Gasse wurde ich darauf angesprochen. Aber das tönte nicht wie sonst meistens, wohlwollend, sympathisierend. Meine Kritik stiess vielmehr auf wenig Verständnis. Die Stadt, wurde gesagt, habe sich nun einmal in diese unmögliche finanzielle Situation hineingeritten, da müssten jetzt alle mithalten, wenn’s um sparen geht, auch die Kultur.

Im «Bund»-Gespräch nach der nicht mehr so glanzvoll gewonnenen Budget- Abstimmung sagte Finanzdirektor Michael Aebersold: «Wir haben viele Ausgaben, die dafür sorgen, dass die Lebensqualität in Bern hoch bleibt. Sie verursachen aber eben auch Kosten. Da müssen wir künftig noch genauer hinschauen und uns fragen, ob wir uns das noch leisten können oder wollen.» Genauer fragen, was wir uns noch leisten können. Aebersold braucht es nicht speziell zu betonen, davon ist auch die Kultur nicht ausgenommen. Art. 15a der städtischen Leistungsverträge macht’s ja bereits vor, wie das funktionieren könnte. Der Stadtrat berät im Februar nicht nur über ein neues, spartenübergreifendes Förderkonzept, er entwirft selber ein Stück weit spartenübergreifend Perspektiven der Stadtplanung, der Art und Weise, wie wir in dieser Stadt leben und mit ihr umgehen wollen, der Stadt der Zukunft. Und der Frage, wie viel Kultur sie sich in welcher Form und mit welchen Mitteln noch leisten will.

Aber erstmal ist ja noch alles, wie es ist. Bei den einen kommen die Besuchenden noch nicht in der früher üblichen Vielzahl, andere vermelden steigende Eintrittszahlen. Aber wenn man sich umschaut und umhört, hat man das Gefühl, da geht etwas, viel mehr und freier jedenfalls als noch vor einem Jahr. Frühlingserwachen schon im Januar. Vielversprechend.

Liebe Grüsse

Bernhard Giger