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NEWSLETTER – JUNI 2022

Liebe bekult-Mitglieder

Am 10. Juni hat der Gemeinderat der Stadt Bern seine Botschaft zur Kulturförderung 2024-2027 herausgebracht. Bis zum 21. August dauert die Vernehmlassung. Es blieb eigenartig ruhig nach der Veröffentlichung. Dabei geht die erste unter Kultur Stadt Bern-Leiterin Franziska Burkhardt ausgearbeitete Kulturbotschaft ganz schön zur Sache, nicht lärmig, aber mit Nachdruck. Ein zentraler Bereich der Förderung, die direkte Projektförderung, wird gänzlich umgekrempelt. «Ist Bern bereit für mehr Kulturdebatte?» fragte die «Hauptstadt» im Titel ihrer Berichterstattung. Die Frage nimmt bekult gern auf. Der Gurten-Gipfel, der am 13. Juli, dem ersten Tag des Gurtenfestivals, nach zweijährigem Unterbruch wieder stattfinden kann, wird ganz diesem Thema gewidmet sein.

Eine Rückblende zurück in die Zeit, als in den Medien eine Entwicklung einsetzte, wie sie nun auch vom neuen Förderungsmodell der Stadt ausgehen könnte, lohnt sich: Um die Jahrhundertwende hielt auf den Zeitungsredaktionen ein neues Produktionsmodell Einzug, von dem vor allem die Verlagsstrategen begeistert waren, die nicht wussten, wie auf die Herausforderung der Gratiszeitungen reagieren. Sie so gut es geht kopieren, war die entsetzlich kurz gedachte Antwort, 100-Zeilen-Journalismus, unbedingte Flexibilität anstelle vertiefter Recherche, Infotainment statt Meinungsbildung.

Die Informationsvermittlung wurde gleich neu erfunden – im Zug der digitalen Umstrukturierung fast mehr eine technische denn eine inhaltliche Anpassung. Gesamtredaktionen ersetzten zunehmend die Fachressorts, die Kultur etwa rückte zur Gesellschaft, Events und Populärkultur verdrängten Kleinbühne und Galerieausstellung. Und dann begann die Ausdünnung: Die chronologische Berichterstattung über den lokalen Kulturbetrieb wurde konstant heruntergefahren und schliesslich grösstenteils abgeschafft. Das war ein Verlust für die Kulturschaffenden und die Veranstaltenden, noch mehr aber für das interessierte Kulturpublikum, dem Orientierungshilfen verloren gingen, die ihm im Lauf der Jahre wertvoll geworden waren.

Wer vor zwanzig Jahren vom drohenden Verlust an Fachwissen sprach, bekam das Jammerer-Etikett angehängt, war ein unverbesserlicher Kultur-Pessimist und sowieso so was von unbeweglich. Aber das Fachwissen ging verloren, und verloren ging natürlich auch der Platz in der Zeitung, wo es hätte angewendet werden können. Heute vermitteln

«Bund»/BZ kein Abbild mehr der Berner Kultur, welches ihrer Vielfalt und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung im städtisch-regionalen Alltag tatsächlich entspricht. Aber Leserinnen- und Leserbindung, das gehört zu den Qualitäten einer Regionalzeitung, schliesst einen engen Bezug auch zum lokalen Kulturschaffen mit ein. Das wäre ja vielleicht mit ein Grund, sie noch zu lesen.

Die Veröffentlichung der Kulturbotschaft des Gemeinderats waren «Bund»/BZ am nächsten Tag nicht einmal einen Kommentar wert – vor zwanzig Jahren hätten wir Kulturjournalisten und Kulturjournalistinnen uns darum gestritten, wer das machen darf.

Wobei: Sie haben kommentiert, zugespitzt im zweizeiligen Titel des Berichts: «Die Stadt krempelt ihre Kulturförderung um – aber nur ein bisschen». So ist es gerade nicht. Die Kulturbotschaft 2024-2027 ist ein Eingriff in die Strukturen der Kulturförderung, wie es ihn lange nicht gab. Es ist ein durchaus kühner, vermutlich auch folgenreicher Versuch, die Kulturförderung des 20. Jahrhunderts durch ein Modell des 21. Jahrhunderts zu ersetzen. Ob’s auch ein kluger Ansatz ist, darüber entscheidet die nächste Förderperiode.

Die Verarmung der Kulturberichterstattung hat mit der Entmündigung der Fachressorts begonnen. Vom Ende des «Gärtlidenkens» war damals die Rede. Vom «Gartendenken bei den Kommissionen» spricht auch die Kulturbotschaft. Damit soll jetzt Schluss sein. Das Fachwissen geht in Pension.

Das neue Kulturförderungsmodell kommt auf den ersten Blick wie ein grosser Wurf daher. Es setzt gleich dreifach auf Nachhaltigkeit, sozial, wirtschaftlich, ökologisch, und es vereinfacht die Abläufe. Die bisher vierzehn Kredite werden halbiert, die Fachkommissionen werden abgeschafft und gehen in einen Expert*innen-Pool über,

«mit zusätzlicher Expertise zum Beispiel aus den Bereichen Digitalität, Philosophie, Games, Diversität, Audiokultur usw.». Das neue Gremium wird spartenübergreifend sein, «das heisst, dass jedes Gesuch auch von spartenfremden Expert*innen begutachtet wird.» Der Pool der Expertinnen und Experten wird über die Vergabe eines Kredits von 3,1 Millionen Franken entscheiden. Neben diesem Posten gibt es weitere, kleinere Kredite, einen Schwerpunktkredit von 200’000 Franken, einen Kredit für Laienchöre und -orchester sowie Kredite für Infrastrukturen und Stadtkultur.

Unkompliziert, griffig und zeitgemäss, so wird das neue Modell von der Stadt vermittelt, eine, um es in den Worten von Stadtpräsident Alec von Graffenried zu sagen, «transparente und offene Kulturförderung», die auf die Herausforderungen der Zeit reagiert und die Geschwindigkeit gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Beim zweiten Hinschauen jedoch kann’s einem auch etwas mulmig werden.

«Der Gemeinderat möchte,» heisst es in der Kulturbotschaft, «dass kulturelle Projekte nicht mehr auf der Grundlage von Sparten-Rastern entstehen.» Darum werden die Fachkommissionen abgeschafft und Experten und Expertinnen aus ausserkulturellen, nicht-fachorientierten Bereichen herangezogen. «Am Anfang soll die Idee stehen, nicht die Sparte,» proklamiert die Kulturbotschaft, als ob dies eine neue Erkenntnis wäre. Auch wenn jemand innerhalb einer gewissen Sparte arbeitet, Kunst, Theater, Tanz, steht die Idee immer am Anfang. Komplizierter wird es hingegen, wenn die Kulturschaffenden ihre ersten Ideen – zu einem Bilderzyklus oder einem Gedichtband – zuerst noch spartenübergreifend definieren und organisieren müssen, um an die öffentlichen Fördermittel zu kommen. Dass die städtische Kulturförderung hier recht unbekümmert auf einen aktuellen Trend mehrgleisiger Kulturarbeit setzt und diese gewissermassen zum Standard macht, ist wenig weitsichtig. Ein Kulturprojekt ist nicht von Anfang an prinzipiell ein gesellschaftliches Gut, sondern gerade in der ersten Phase der Entstehung vielleicht etwas enorm Persönliches, das die Intimität des stillen Kämmerleins noch braucht. Das sagt aber noch nichts darüber aus, welcher gesellschaftliche Nutzen dem Werk später einmal zukommen wird.

Diese Art der Kulturarbeit benötigt fachliche Begleitung und Kompetenz, Partnerinnen und Partner in Kulturhäusern, Kennerinnen und Kenner in Fachgremien. Es gibt in jeder Sparte Eigenarten in der Darstellungsweise und der Stoffentwicklung, die zu beurteilen nicht-spartenbezogenen Gremiumsmitgliedern schwerfallen dürfte, die jedoch für die Qualität des Werks ausschlaggebend sind. Es ist zu befürchten, dass der neue Pool, der in Zukunft sehr weitgehend darüber bestimmen wird, was in der Berner Kultur entsteht und was nicht, weniger nach solchen Kriterien entscheiden wird als aufgrund gesellschaftlicher Relevanz und Correctness – die Documenta lässt grüssen. Aber Fachwissen ist nicht «Gärtlidenken», sondern solide Grundlage für die Beurteilung eingereichter Projekte. Und a propos Gartendenken: Es wird zwar künftig nur noch ein einziger, grosser Garten sein, dem aber, im Unterschied zu früher, ein weitreichendes Entscheidungsmonopol zukommt. Wer 3,1 Millionen Franken verteilt, gibt den Ton an.

Stark gewichtet die Kulturbotschaft die soziale Nachhaltigkeit. Die Stadt will künftig nur noch Projekte fördern, die branchenübliche Honorare und Sozialversicherungen budgetieren. Das ist im Grundsatz richtig, die Kulturarbeit ist noch immer zu oft unterfinanziert und die Vorsorge schlecht oder gar nicht gesichert. Aber Kulturarbeit, das war schon immer so, entsteht häufig auch in Teilzeit, aus ökonomischen, familiären oder persönlichen Gründen, und sie bewegt sich vielfach im Grenzbereich zwischen professioneller und Laienarbeit. Aus solchen Konstellationen kann Grosses werden, wir haben es alle schon erlebt. Aber auch diese Projekte brauchen städtische Unterstützung. Das könnte nun bei der einen oder anderen Eingabe, streng beurteilt, schwieriger werden.

Angesichts der strengeren sozialen Anforderungen rechnet die Stadt mit einem Wachstum der Budgets in den Förderungsgesuchen. «Da der Stadt Bern aber keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung stehen, wird sie weniger Projekte unterstützen können.» Auch in dieser Hinsicht muss, wer künftig Unterstützung beantragt, anders auftreten. Das ist nicht allen gleich gegeben. Es wird darum spannend sein zu beobachten, ob und wie sich die angestrebte Stärkung professioneller Kulturarbeit auf die Vielfalt der Berner Kulturszene auswirken wird. Weniger, dafür aufwändiger produzierte Projekte, das wird sich im Kulturalltag niederschlagen.

Einiges in der Kulturbotschaft bedarf noch der Konkretisierung. Ziemlich unschlüssig lässt etwa der Schwerpunktkredit, der das «Querschnittthema und die Schwerpunkte der städtischen Kulturförderung» stärken soll und der Stadt die Möglichkeit bietet, «rasch auf neue Entwicklungen zu reagieren.» Man weiss nicht recht, ist das nun ein Stadtentwicklungs- oder ein Kulturkredit. Doch vielleicht ist auch dieser Kredit ein Resultat der neuen spartenübergreifenden Dynamik.

Damit zum anderen Teil der Botschaft, den gebundenen Kosten der Leistungsverträge, dem deutlich gewichtigeren Teil des Kulturbudgets. Rund 33 Millionen soll das Kulturbudget 2024-2027 betragen, 605’000 Franken, 1,8 Prozent, weniger als bisher. Etwas über 29 Millionen gehen an die Partnerinnen und Partner von 14 rein städtischen und zehn tripartiten, also mit Stadt, Region und Kanton abgeschlossenen Verträgen. Bei den städtischen Verträgen kommt eine neue Orchesterförderung hinzu, die bereits Konsequenzen hat: Das Berner Kammerorchester, das bisher mit jährlich CHF 112’000 unterstützt wurde, soll ab 2024 keinen Leistungsvertrag mehr bekommen. Seine Unterstützung, so die Kulturbotschaft, werde «im Rahmen der neuen Orchesterförderung geprüft.» BKO-Geschäftsführer Niklaus Egg sieht das weniger gelassen. «Wir gehen vom Schlimmsten aus,» sagte er in der «Hauptstadt», «und rechnen mit weniger Geld.» Der Wegfall der festen Subvention schafft für das Orchester auch erhebliche Planungsunsicherheit.

Schön, dass das Puppentheater und das Kollektiv Frei-Raum / Heitere Fahne neu tripartite Leistungsverträge bekommen. Sonst aber lässt einen die Verteilung und Verschiebung der Mittel für die Jahre 2024-2027 zuweilen etwas ratlos. Die Logik, weshalb am einen Ort erhöht und am andern gekürzt wird, erhellt sich nicht überall gleichermassen. Die Kunsthalle bekommt, und das ist gut so, 50’000 Franken mehr. Damit wird auch der Ausfall des Anteils an der Bundesmillion etwas kompensiert. Dieser Verlust, sagte die frühere Kunsthalle-Leiterin Valérie Knoll einmal, habe den Verzicht auf jährlich eine Ausstellungs-Publikation mit sich gebracht. Thomas Pauli- Gabi, der Direktor des Historischen Museums, nannte kleine Ausstellungen wie jene zum Frauenstimmrecht im letzten Jahr, die ohne Bundesgeld nicht mehr finanziert werden könnten. Sein Haus bekommt ab 2024 jedoch 85’000 Franken weniger, was die Stadt mit den anstehenden, kostenintensiven Sanierungsarbeiten begründet.

Um noch nicht durchgeführte Sanierungen geht es bei der Dampfzentrale. Sie, die früher auch von der Bundesmillion profitieren konnte, bekommt 100’000 Franken weniger, weil, wie die Kulturbotschaft vermerkt, «die Höhe der Subvention in ein besseres Verhältnis zur Programmdichte des Hauses gebracht werden soll.» Will heissen: Ihr macht zu wenig für das Geld, das ihr bekommt. Melanie Mettler, die Co- Präsidentin des Vereins Dampfzentrale, nennt die Argumentation in der «Hauptstadt» «zynisch». Die Programmdichte sei Resultat des baulichen Zustands des Hauses, es sei gar nicht möglich, sein Potenzial auszuschöpfen, weil die Stadt auf Sanierungen verzichtet habe. Zudem gelte es «genauer zu überlegen, wo man mit dem Haus hinwolle und die entsprechende Finanzierung sicherzustellen.» Allerdings wäre nicht nur in der Dampfzentrale, sondern auch in anderen, durch vierjährige Leistungsverträge gestützte Häuser, eine solche Überprüfung durchaus einmal angebracht. Hier müsste der Stadtrat ansetzen, wenn er im Februar 2023 über die Verträge debattiert.

Die Kulturbotschaft des Gemeinderats ist ein seltsam Ding: Einerseits dieser auf seine Art wagemutige Ansatz zu einer Förderpraxis, die einem sich rasant wandelnden Kulturbegriff nachzukommen versucht, aber andererseits wieder dieser eingespielte Griff zum Rechenschieber.

Eigentlich geht es um eine moderate Einsparung von 605’000 Franken, und nicht, wie auch schon, um eine überrissene Sparrunde, die es zu verhindern gilt. Dennoch enthält diese Kulturbotschaft Zündstoff wie lange nicht mehr. Am Gurten-Gipfel zündeln wir ein wenig.

 

Bis dann, liebe Grüsse
Bernhard Giger