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NEWSLETTER Nr. 13 – 14. November 2020

Liebe bekult-Mitglieder

Seit dem 24. Oktober ist der Kanton Bern, zum zweiten Mal in diesem Jahr, im Kultur-Lockdown. Das hat der Regierungsrat so entschieden. Neben dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ist ihm vor allem wichtig, dass die Wirtschaft einigermassen funktionieren kann. So in der Art: Jetzt ein paar Wochen radikal herunterfahren, um dann rechtzeitig die Wintersaison im Oberland eröffnen zu können. Die Kultur zählt für den Regierungsrat nicht zur Wirtschaft, sondern, wie der Sport, zum grossen Feld «Freizeit» – und ist deshalb entbehrlich. Zu viele Leute drohen dort ungeordnet aufeinander zu treffen. Also verbietet man jegliches Zusammenkommen besser gleich kategorisch. Im Kulturbetrieb dürfen sich – ihr wisst es – momentan gerade mal 15 Personen treffen.

Kurzsichtiger geht es fast nicht. Selbstverständlich ist die Kultur ein Wirtschaftszweig wie jedes andere Gewerbe. Viele hundert Arbeitsstellen allein in der Stadt Bern sind von den Massnahmen des Regierungsrats betroffen. Viele hundert Menschen, die nicht wissen, wie lange ihre Einkünfte noch gesichert sind. Indirekt sind es sogar Tausende, wenn man die sogenannte Umwegrentabilität mit einberechnet, etwa mit Bars und Beizen, die nun leer bleiben. Und Personal entlassen müssen.

Unverständlich – nein: ärgerlich – ist der Stillstand-Entscheid des Regierungsrats jedoch auch deshalb, weil ja genau die Kulturbetriebe bewiesen haben, dass öffentliche Betriebe durchaus Corona-frei funktionieren können, wenn man entsprechende Schutzkonzepte hat und konsequent anwendet. Kinos, Theater, Museen – quer durchs Angebot haben sich die Veranstalter bemüht, unter stark eingeschränkten Bedingungen dennoch zu vermitteln, wonach die Menschen nach langer Abstinenz gelüstet: Kultureller Austausch, etwa sinnliche Verführung in weiss Gott nicht leichten Zeiten. Auf Dauer kann man sie den Menschen nicht wegenehmen, diese Lust aufs Kreative. Sonst macht das depressiv, und hat soziale Konsequenzen.

Bis zum 23. November dauert der Kultur-Lockdown. Viele Kulturbetriebe haben ihr Programm darauf ausgerichtet. Einen Plan B haben die meisten nicht, weil eigentlich schon dieser Re-Start einer ist. Aber wir wissen, wir befürchten es alle: Die Massnahmen könnten verlängert werden – und dann wird es schnell einmal Ende Jahr sein oder noch später, bis es wieder weitergeht.

Am 24. Oktober wurde die Kultur von den Entscheiden des Regierungsrats regelrecht überrumpelt, sie kamen sehr kurzfristig und niemand hatte damit gerechnet. Besonderen Unmut erregte mancherorts auch die wenig professionelle Kommunikation.

Dem Vernehmen nach will der Regierungsrat erst Ende kommender Woche über die Massnahmen nach dem 23. November entscheiden. Für die Kulturbetriebe ist das viel zu kurzfristig: Am Samstag das Gastspiel einer auswärtigen Gruppe in der Woche darauf absagen, vielleicht verschieben, vielleicht bereits das zweite Mal, aber bis wann, niemand weiss es. Vielleicht Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Absage klären, vielleicht mit der Versicherung reden und über bereits angefallene Kosten verhandeln.

Es wäre gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht von grösster Relevanz, wenn die Kulturbetriebe so schnell wie möglich darüber informiert würden, was ihnen bevorsteht. Und es wäre kultur- und gesellschaftspolitisch sehr angebracht, auch in angespannter Corona-Lage die einzelnen Massnahmen zu prüfen und allenfalls anzupassen.

Und was macht die Stadt? Bereits wenige Tage nach dem Einsetzen der kantonalen Massnahmen hat der Stadtpräsident Vertreterinnen und Vertreter der Kulturszene zum – virtuellen – Gespräch eingeladen. Alec von Graffenried zeigte dabei viel Offenheit und Verständnis, und er hörte genau hin, wenn die Kulturschaffenden ihre Erwartungen formulierten. Aber jetzt braucht es endlich etwas Greifbares. In der Stadt selber, und gegenüber dem Kanton.

Am kommenden Montag trifft sich die Stadt am runden Tisch mit den Sozialpartnern und den Parteien zur Aussprache. Zur Diskussion steht unter anderem die Aktivierung eines vom Stadtrat geforderten Fonds für besonders stark gefährdete Betriebe in Gewerbe, Gastronomie, Hotellerie, Clubszene und Kultur. Die Gelder sollen schnell ausbezahlt und erst dann soll geprüft werden, in welcher Form die Beiträge allenfalls von Kanton oder Bund kompensiert werden könnten. Bis zu sieben Millionen Franken kann der Stadtrat beschliessen, ohne damit vors Volk gehen zu müssen. In der Kultur müssten solche Unterstützungsbeiträge in erster Linie wohl Betrieben ohne Subventionen zukommen, Kinos, Musikclubs, freien Bühnen.

bekult hat einen Brief an den Gemeinderat mitunterzeichnet, der dringend Unterstützung für Bedrohte fordert, zusammen mit Gastro Stadt Bern, BERNcity, BuCK und anderen Organisationen. Ob Kultur, Gastronomie oder Nachtleben, wir sitzen alle im gleichen schlingernden Boot. Läuft es bei den einen nicht mehr, geht auch bei den anderen das Licht aus.

Doch die Stadt muss gegenüber dem Regierungsrat entschiedener auftreten. Die kantonal verordneten Kultur-Massnahmen müssen gelockert werden. Der Gemeinderat muss dem Regierungsrat deutlich machen, welche Bedeutung die Kultur im öffentlichen Leben der Stadt einnimmt, wie notwendig sie gerade jetzt ist, und wieviel Wert jedem noch so kleinen Raum zukommt, der sich für die Kultur öffnen lässt.

Es geht um Lebensqualität auch im Ausnahmezustand. Nur so kommen wir durch den Winter.

Liebe Grüsse
Bernhard Giger