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NEWSLETTER Nr. 14 – 22. APRIL 2021

Liebe bekult-Mitglieder

Frühlingserwachen allerorten. Draussen vor dem Fenster im Home- Office, oder im Rahmen erster zaghafter Wiedereröffnungen in der Gastro-Branche und der Kultur. Von den jüngsten Lockerungs- Entscheiden des Bundesrats waren viele zwar eher überrascht, und die Schutz-Massnahmen sind noch immer so einschränkend, dass an den meisten Orten eine rentable Betriebsführung nicht möglich ist. Aber immerhin: Ein Stück alte Freiheit scheint wiedergewonnen, zumindest im Moment. Denn eines haben wir alle gelernt im letzten Jahr: Niemand weiss, was noch kommt, und niemand sagen kann, wann die nächste Schliessung droht. Für die Kultur ist es deshalb wie für die ganze Gesellschaft: Wirklich zu trauen ist diesem Frühling noch nicht.

So schön es ist, wenn die Kultur sich wieder vermehrt an ihren ganz eigenen Orten vermitteln kann und nicht mehr nur über digitale Kanäle, ökonomisch bleibt das Eis dünn. Mehr denn je ist die Kultur auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Und hier droht Abbau – gerade jetzt, wo Corona die Perspektiven mancherorts eh schon verdüstert. Mitte März hat der Gemeinderat seine Sparpläne für die nächsten Jahre bekanntgegeben. 1,34 Millionen Franken sind es zwischen 2022-2024 im Kulturbereich. Dazu kommt der Wegfall der Bundesmillion ab diesem Jahr – für die betroffenen Institutionen bereits dies empfindliche Einbussen.

Unter den vom Gemeinderat eingebrachten Sparmassnahmen ist die Schliessung der Stadtgalerie. Rund 220’00 Franken könnte die Stadt so einsparen. bekult hat sich am 19. März in einer Protestnote gegen die Schliessung gewehrt und dabei insbesondere auf die Bedeutung der Stadtgalerie als bewährtes und in dieser Form einzigartiges Instrument der Nachwuchsförderung im Kunstbereich hingewiesen. Über das Sparpaket – und damit auch über den Fortbestand der Stadtgalerie – wird der Stadtrat im September entscheiden.

Es sei nicht Kernaufgabe einer Stadt, eine Kunstgalerie zu führen, begründete der Stadtpräsident den Entscheid – eine weniger finanz- als vielmehr kulturpolitische Argumentation. Mit dem gleichen Argument wehrte sich die Stadt lange dagegen, ein Stadtkino zu führen. Das 1970 eröffnete Kellerkino wurde von der Stadt bis heute nie direkt subventioniert, aber es kann unterdessen im Verbund mit dem Kino Rex, einer vom Verein Cinéville geführten Institution mit städtischem Leistungsvertrag, bestehen. Wenn es also bei der Stadtgalerie nur darum ginge, liesse sich das vielleicht ändern: Es müsste sich dafür eine – wohl aus direkt interessierten Kreisen zusammengesetzte – private Trägerschaft bilden, ein Verein oder eine Stiftung, die dann über einen Leistungsvertrag mit der Stadt funktionieren würde. Das Kornhausforum könnte dafür Modell sein, dort sind Architekturverbände, die Berner Fachhochschule und die Berner Design Stiftung als Partner an der Trägerschaft beteiligt. Gerade für die HKB, die Hochschule der Künste, ist die Stadtgalerie ein wichtiger Ort, weil sie abgehenden Studentinnen und Studenten Raum für erste eigene Projekte anbieten kann.

Im Sparprogramm des Gemeinderats enthalten sind auch Reduktionen – so nennt die Stadt die Streichungen wohlformuliert – bei den städtischen und den tripartiten Leistungsvereinbarungen. 269’000 Franken sind es am einen Ort, 500’000 am andern. Aufgrund der laufenden Verträge können diese Massnahmen erst ab 2024 vollzogen werden. Für die neun städtischen Institutionen mit tripartiten, also vom Kanton und der Regionalkonferenz Bern-Mittelland mitgetragenen Verträgen, kommt es aber noch happiger. Hier gibt es einen Verteilschlüssel – 48% Stadt, 40% Kanton, 12% Region –, und es ist davon auszugehen, dass auch die anderen Vertragspartner ihre Beiträge anpassen, das heisst herabsetzen werden, ausser der Verteiler würde neu ausgehandelt. Bleibt es jedoch beim alten System, würde das bedeuten, dass die Reduktion sich auf rund eine Million Franken verdoppeln würde.

Gestrichen werden soll das New York-Stipendium, wegfallen soll, noch bevor er überhaupt Wirkung zeigen konnte, der erst 2020 eingeführte Kredit Promotion und Distribution. Es ist einiges, was an Verzicht auf die Kultur zukommt. Das wird sich unweigerlich auch im städtischen Kulturangebot niederschlagen. Dies gilt es gegenüber der Politik – Gemeinderat und Stadtrat – deutlich zu machen: Dass sie nicht nur über Einsparungen entscheiden, sondern auch über die Vielfalt, die lokale Vernetzung und die Reichweite der Kulturstadt Bern. Es geht bei den Streichungen im Kulturbereich nicht bloss um Finanzpolitik, sondern um Berns kulturelles Selbstverständnis.

Man wird uns vielleicht entgegnen, dass die Kulturausgaben nach den Kürzungen noch immer nicht unter jenen von 2019 liegen werden, und dass das Kulturleben doch schon damals vielfältig war. Man wird uns vielleicht auch mit der bei solchen Sparrunden üblichen Rhetorik zu beschwichtigen versuchen, dass der eine oder andere Verzicht und Abbau durchaus machbar sei, ohne dass der Kulturbetrieb dadurch gleich als Gesamtes in Schieflage gerate. Doch das sind genau die Anfänge, deren man sich wehren muss, dieses allmähliche Abbröseln der Ränder, dieser stille, schleichende Abbau der Angebotsvielfalt. Es fällt vorerst kaum auf: Eine Galerie weniger, eine gestrichene Produktion, ein nicht publiziertes Buch. Auf die Dauer aber schafft sich so ein langsam gewachsener, vielteiliger und fein ausbalancierter Kulturort, wie Bern einer ist, in Raten selber ab.

Die Medienvielfalt in Bern, die schafft sich nicht selber ab, das hat der Zürcher Verlag Tamedia übernommen, dessen Mutterhaus sich schnittig TX Group nennt. Eine Redaktion soll künftig zwei Zeitungen machen. Dafür werden 20 Vollzeitstellen abgebaut. Das bedeute, schreiben die Redaktionen von «Bund» und BZ in einem Manifest, «umgerechnet den Stellverlust für rund 30 Mitarbeitende.» Die Journalistinnen und Journalisten fordern von der Tamedia- Geschäftsleitung und der Redaktionsleitung Bund/BZ vollständige Transparenz über die tatsächliche Zahl der abzubauenden Vollzeitstellen und dass sie «möglichst rasch Klarheit schaffen, wer vom Stellenabbau betroffen sein wird.»

Die soziale Brutalität, mit welcher der Verlag Tamedia gegenüber den Redaktionen der beiden Berner Zeitungen vorgeht, ist erschütternd – insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die TX Group, so das Manifest, «im Corona-Jahr 2020 37 Millionen Franken Dividende an ihre Aktionäre und Aktionärinnen ausschüttete und vom Bund Kurzarbeitsentschädigung in Millionenhöhe bezog.» bekult unterstützt den Protest der Bund/BZ-Redaktionen vehement und solidarisch.

Für die Kulturberichterstattung ist der Verlust von zwei eigenständigen Zeitungen verheerend. Hätten die Verantwortlichen in Zürich «Bund» und «Berner Zeitung» wirklich gelesen, bevor sie sich daran machten, die Blätter trendig umzugestalten, wäre ihnen aufgefallen, wie verschieden die Stimmen sind und wie unterschiedlich die Gewichtung. Das war Kulturjournalismus, der am Stadtleben teilnimmt, sich daran reibt und sich ein Stück weit auch als Teil dessen versteht. Aber von Zürich aus gesehen: Provinz statt globaler Spielplatz, Kleinbühne statt Netflix, so was von gestrig und hinterwäldlerisch. In ihrem Manifest fordern die Bund/BZ- Mitarbeitenden, dass zu prüfen sei, «ob das Festhalten der Brands Bund und BZ gegenüber der Leserschaft ehrlich und redlich ist.» Eine gute Frage, wenn traditionelle Regionalzeitungen mit eigenem Profil zu Kopfblättern werden, deren Inhalte von Basel über Zürich bis Bern weitgehend die gleichen sind.

Es gäbe einiges zu bereden. Weil das Gurtenfestival erneut abgesagt werden musste, kann der bekult-Gurtengipfel auch dieses Jahr nicht stattfinden. bekult wird aber im Juni – im dannzumal möglichen Rahmen – zu einer Aussprache einladen, bei der es vor allem darum gehen wird, in welcher Form und mit welchen Massnahmen wir uns in den politischen Budget-Prozess der Stadt einbringen.

Zum Abschluss noch einmal Frühlingserwachen: Diese Woche konnte Kultur Stadt Bern vermelden, dass sich Bern als erste Deutschschweizer Stadt am Netzwerk für Bühnenproduktionen der Commission Romande de diffusion des spectacles (Corodis) beteiligt. Ein sympathischer, kleiner Aufbruch Richtung Westschweiz, kulturpolitisch weitsichtig. Dass zwischen dieser Vernetzung und den Entscheiden des Stadtrats im September ein Zusammenhang besteht, erschliesst sich einem vielleicht nicht auf den ersten Blick, zumal ja im Sparprogramm Kürzungen im Theater-Bereich nicht explizit vorgesehen sind. Doch genau darum geht es: Wieviel kultureller Aufbruch und Austausch sich Bern leisten will. Es geht eben, auch wenn man nur einzelne Posten streicht, doch immer ums Ganze.

Liebe Grüsse Bernhard Giger